STUDIO! 4 2022

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Zu Besuch bei Josef Weghaupt, dem Gründer von Joseph Brot.

Franzisca Weder im Gespräch über gelungene Nachhaltigkeitskommunikation.

Neun vergoldete Karrieren

Die PreisträgerInnen des Alumni Award 2022 der FHWien der WKW.

Generation Nix-ist-fix

Morgen kann die Welt schon anders aussehen: Wie die Generation Z, aktuell in Ausbildung, mit großer Ungewissheit umgeht.

# 04 DEZEMBER
Das Magazin für Management & Kommunikation der FHWien der WKW
2022
»Supermärkte werden wir nie beliefern!«
»Greenwashing funktioniert nicht mehr«

1,4 Millionen Menschen zählen in Österreich zur Generation Z: Wie reagieren sie auf gesellschaftliche Umbrüche, Krisen und unsichere Zukunftsperspektiven?

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Generation Nix-ist-fix

Viele Generationen hatten einen fixen Fahrplan: Karriereleiter, Familiengründung, Hausbau. Die Generation Z, aktuell in Ausbildung, sieht ihre Zukunft flexibler – doch nicht unbedingt entspannter.

Text: Maya McKechneay

Fast ein Drittel der Menschen weltweit ist derzeit zwischen 12 und 27 Jahre alt und gehört somit zur Generation Z. Allein in Österreich sind es 1,4 Millionen. Die GenZ, wie diese Generation auch genannt wird, unterscheidet sich von den Millennials (alias Generation Y) vor ihr, aber noch stärker von ihrer Elterngeneration, der Generation X, durch ihre technischen Skills und ihr Kommunikationsverhalten. Schließlich ist die GenZ die erste Generation von Digital Natives, die mit Handys und Tablets aufgewachsen ist, und auch die erste, die sich eine Welt ohne das Inter net in der Hosentasche gar nicht mehr vorstellen kann. Es scheint, als habe die GenZ das Wissen der Welt für sich gepachtet: Doch was weiß eigentlich die Welt über sie?

Freizeit, Freunde, Familie »Die GenZ ist eine spannende Gene ration, eben weil wir noch so wenig über sie wissen: Die Jüngsten sind noch in der Pubertät«, erklärt Hilda Helyes, Academic Expert & Lecturer

im Competence Center for Marketing der FHWien der WKW. Sie hat sich aus Perspektive des Marketings mit der Generation Z befasst, aber nicht nur das: Als Lektorin an der FH hat sie täglich mit Studierenden dieser Generation zu tun. Ihre Wahrneh mung aus dem Unterricht mischt sich mit Studien, die sie liest. »Die Mehrheit der GenZ hat noch kein eigenes Einkommen«, sagt Helyes,

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© Gettyimages/Andriy Onufriyenko
Hilda Helyes ist Academic Expert & Lecturer im Competence Center for Marketing der FHWien der WKW. Im Unterricht setzt sie gerne digitale Tools wie Moodle, Mentimeter oder Kahoot ein.
© privat
»Freizeit, Freunde und Familie sind dieser Generation viel wichtiger als die Karriere.«

»oder steht am Anfang ihrer Karriere. Sie will aber auch gar keine Karriere: Freizeit, Freunde und Familie sind viel wichtiger!«

Das Leben genießen –solange es noch geht

Dass sich die GenZ weniger um eine klassische Aufstiegskarriere der kleinen Schritte bemüht, liegt wohl auch daran, dass sie der Stabilität des Systems misstraut. Laut dem Global 2022 GenZ and Millennials Survey, für den die Unternehmensberatung Deloitte auch 14.800 Angehörige der GenZ befragen ließ, gilt die größte Sorge dieser Gruppe den steigenden Lebenshaltungskosten. 51 Prozent der befragten GenZ in Österreich vermuten, dass sich die allgemeine wirtschaftliche Situation im kommen den Jahr verschlechtern wird. Ähnlich pessimistisch sieht ihre Prognose für die soziale und politische Entwicklung aus (siehe Statistiken auf S. 6).

Weltweite Multi-Krise »Als ich Anfang 20 war, waren die Voraussetzungen andere als heute«, erinnert sich Georg Feldmann, der die Ansprüche der GenZ am Arbeits markt – gemeinsam mit Tilia Stingl und Jasmin Séra von der FHWien der WKW – genauer untersuch te. »Es ging grundsätzlich bergauf. Zukunftssicherheit war kein Thema. Auf der Bank gab es sechs Prozent Zinsen. Nach dem Studium konn te man mit einem Job rechnen und nach drei bis vier Jahren mit einem Firmenfahrzeug.«

© privat

Georg Feldmann arbeitet als Kommunikationsberater, Psychotherapeut und Lektor der FHWien der WKW. Früher leitete er dort das Kompetenzteam für die Digitalisierung der Kommunikationsprofessionen.

Für die Generation Z stelle sich die Situation anders dar, sind sich die drei TeamkollegInnen einig. »Es gibt eine Multi-Krise: eine Teuerungskrise, eine Schuldenkrise, eine Energiekrise, eine Klimakrise. All das sehen und verstehen die Jungen«, fasst Feldmann zusammen. Seine Kollegin Tilia Stingl, die mit der GenZ auch durch ihre eigenen Kinder, 15 und 19 Jahre alt, vertraut ist, ergänzt: »Nicht nur meine Kinder, auch ihre Freunde sind mit der Unsicherheit als Status quo groß geworden.«

Job: Wertschätzung wichtiger als Wohlstand Am Jobmarkt ist die Generation Z vielleicht gerade wegen dieser Unge wissheit entspannt: Die Studierenden des Studienbereichs Digital Economy der FHWien der WKW, wo Stingl arbeitet, hätten »heute null Probleme, einen Job zu finden. Ich kann zwar

beobachten, dass sichere Arbeitsstellen gefragt sind. Trotzdem will man sich nicht binden. Jobs werden schneller gewechselt. Die Generation Z hat sich wegbewegt von der Mentalität der Workaholics, die die Millennials noch ausgezeichnet hat. Man will sinnerfüllt leben und die Freizeit genießen.« – »Mit dem Versprechen einer Jobanzeige, dass es einen GratisObstkorb, einen Pingpong-Tisch und Afterwork-Events gibt, kann man heute niemanden mehr ködern«, glaubt Jasmin Séra. »Für die GenZ ist ausschlaggebend, dass sie sich mit den Werten eines Unternehmens identi fizieren kann. Entsprechend sollten Unternehmen Hierarchien abbauen, beispielsweise indem sie alle Gene rationen an einen Tisch holen, damit man – Stichwort Peergrouping –

Kompetenz team für die Digitali sierung der Kommunikationsprofessionen der FHWien der WKW.

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© Andrea Hanatschek
Tilia Stingl ist Academic Expert & Lecturer Digital Economy und war Mitglied im
gibt eine Multi-Krise: eine Teuerungskrise, eine Schuldenkrise, eine Energiekrise, eine Klimakrise. All das sehen und verstehen die Jungen.«
»Es
Georg Feldmann

GENERATIONEN IM ÜBERBLICK

Geradlinige Karrieren, bei denen sich junge Menschen über Jahrzehnte in einem Unternehmen hocharbeiten, gibt es kaum noch. Mobilität und Flexibilität sind gefragt.

voneinander lernt. Alle sollten das Ge fühl haben, gehört zu werden.« (Siehe dazu auch das Gespräch zum Thema »Reverse Mentoring« auf S. 12.)

Freiheit und Flexibilität

Die Statistik bestätigt die Wahrneh mung von Stingl und Séra: Laut Deloitte-Studie haben Österreiche rInnen der GenZ ihren Arbeitgeber primär deshalb gewählt, weil er ihnen eine gute Work-Life-Balance ermög licht. Als wesentliche Motivation, einen Job zu kündigen, nannte die gleiche Gruppe hingegen zuvorderst, dass ihre individuelle Leistung nicht geschätzt werde. Ein zu niedriges Gehalt gab we sentlich seltener Anlass zur Kündigung (Details siehe S. 6).

© privat

Jasmin Séra ist bis Dezember 2022 Research Associate im Stadt Wien MA23 ­ Projekt »Gestaltung organisa tionaler Ambidextrie in KMU zur erfolgreichen Bewältigung der digitalen Transformation« der FHWien der WKW und war Mitglied in deren Kompetenzteam für die Digitalisierung der Kommunikationsprofessionen.

Es sei nicht mehr wie früher, sagt Georg Feldmann, als man gewusst habe: »Zehn Jahre muss ich im Job durchhalten, dann habe ich eine Woh nung finanziert.« Der finanzielle An reiz sei geringer, dafür seien Freiheit und Flexibilität gewachsen: »Wir leben heute in einer Multi-Options-Gesell schaft. Es gibt unzählige Berufe, die es früher noch nicht gab. Man muss sich nicht mehr auf Jahrzehnte committen und kann schnell wechseln, wenn das Umfeld nicht passt.«

Konsum: »Bitte die ganze Palette!« Multi-Option ist auch ein wesentliches Schlagwort, wenn Hilda Helyes über das Konsumverhalten der Generation Z spricht und darüber, wie gutes Mar keting sie erreicht. Sollte man die Hal tung dieser Generation in ein Motto

packen, wäre es laut der MarketingExpertin: »Bitte die ganze Palette!« –»Durch ihre Erziehung ist die GenZ eine breite Auswahl gewohnt. Ich will nicht sagen, sie ist ›verzogen‹, aber wir Eltern haben immer gefragt: ›Willst du Erdbeerjoghurt oder Vanille?‹ und so weiter. Diese Auswahl fordern sie nun auch als KonsumentInnen ein: ›Netflix oder Prime Video?‹ Die GenZ switcht schnell und ohne Bedenken zwischen den Produkten.«

Hat die GenZ eine Kaufentschei dung getroffen, soll das Produkt sofort verfügbar sein: »Wenn im Internet zu sehen ist, dass ein Influencer ein T-Shirt trägt, empfiehlt zeitgemäßes Marketing, dass man es sofort kaufen kann.« Kaufen, das heißt bei der GenZ: bevorzugt online und mobil.

Shoppingtrip mit Influencern

Wie aber erreichen Unternehmen diese sprunghafte Kundschaft? »Emp fehlungen sind wichtig«, sagt Helyes. »Diese Generation hat keine klassi schen Idole oder Vorbilder mehr, son dern Influencer. Die funktionieren wie Freunde, geben Tipps und zeigen, wie man sein Leben besser gestaltet.« Be sonders relevant für Kaufentscheidun gen seien Nano-Influencer mit 1.000 bis 5.000 Followern und Mikro-Influ encer mit 5.000 bis 20.000 Followern, weil sie authentisch wirken. Entspre chend dieser Entwicklung würden Social-Media-Kanäle immer stärker zu direkten Einkaufskanälen ausgebaut. Allgemein, sagt Helyes, konsumiere diese Generation jedoch nicht mehr

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1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 1997 bis 2012 1946 bis 1964 1965 bis 1980 1981 bis 1996 frühe 2010er–Jahre bis mittlere 2020er-Jahre Generation Z Baby Boomers Generation X Millennials Generation α
© Gettyimages/Andriy Onufriyenko

»Habe keine Wertschätzung für mich und meine Arbeitsleistung gespürt« »Hatte das Gefühl, die Arbeitsumgebung hat meiner Gesundheit geschadet« »Hatte ein Burn out« »Mangelnde Flexibilität bezüglich Arbeitsort« »Zu niedriges Gehalt«

WELCHE GRÜNDE WÜRDEN SIE MOTIVIEREN, FÜR EIN UNTERNEHMEN ZU ARBEITEN?

Österreich

GenZ in Österreich

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AUS WELCHEN GRÜNDEN WÜRDEN SIE IHREN JOB KÜNDIGEN?
16
12
15
GenZ in Österreich 19 % 18 %
%
%
%
24
GenZ in
29 % 24 %
% 24 % 24 % »Gute Work Life Balance« »Lern und Entwicklungsmöglichkeiten« »Hohes Gehalt und andere finanzielle Benefits« »Positives Arbeitsklima« »Flexible Arbeitsmodelle«
GESTRESST? 46 46 % antworten
39 39 % antworten
FÜHLEN SIE SICH STÄNDIG ÄNGSTLICH ODER WIE SEHR BESTIMMT DER NACHHALTIGKEITSGEDANKE IHR VERHALTEN? GenZ weltweit 90 % bemühen sich, die Umwelt zu entlasten 63 % 27 % 5 % 5 % GenZ in Österreich 89 89 % bemühen sich, die Umwelt zu entlasten 57 % 32 % 5 % 6 % Ich versuche es immer Ich gebe mir Mühe, nachhaltig zu handeln, könnte aber mehr tun Ich versuche es selten Ich denke darüber nicht nach WAS BEREITET IHNEN BESONDERS GROSSE SORGEN? 38 % 47 % 38 % 39 % 33 % 39 % 31 % 42 % 25 % 34 % »Meine langfristige finanzielle Zukunft« »Meine mentale Gesundheit« »Meine Familie/persönliche Beziehungen« »Meine eigene aktuelle Finanzsituation« »Mein Job/Workload« GenZ in Österreich GenZ weltweit
mit »Ja« GenZ weltweit
mit »Ja«

Lernen für Digital Natives

Mit den Angeboten ihres Teaching & Learning Centers kommt die FHWien der WKW den Bedürfnissen der Generation Z entgegen.

Writing Lab – dieses vorläufig bis 2025 von der Stadt Wien geförderte Projekt verschränkt nach dem BlendedLearning-Prinzip synchrone Inhalte wie Workshops, individuelle Coa chings oder Schreibwerkstätten mit asynchronen Inhalten wie Lernvideos, Erklärvideos oder Podcasts. Ziel ist, die Lese- und Schreibkompetenz der Studierenden zu stärken. Auch ein Online-Writing-Lab ist im Aufbau. Hauptzielgruppe: Studierende, die ein Bachelor- oder Masterstudium beginnen.

E-Learning-Studio – ein Angebot an Lehrende der FHWien der WKW, die hier ein Video- und Podcast studio buchen können, um – bei Bedarf angeleitet von ExpertInnen für digitale Lehre – Inhalte multimedial aufzubereiten.

Hauptzielgruppe: Lehrende, die die Präsenzlehre durch multimediale Inhalte ergänzen wollen.

als vorhergehende. »Materieller Besitz ist ihr gar nicht so wichtig.« Spielt aber Nachhaltigkeit in die sem Konsumverhalten überhaupt eine Rolle? »Man hat an den Fridays-forFuture-Aktionen gesehen, wie wichtig dieser Generation das Engagement für die Zukunft ist. Beim Konsumieren ist sie weniger engagiert. Nachhaltige Produkte zu kaufen, ist immer noch eine Frage von Schicht und Bildung.«

Die GenZ unterrichten

Als Lehrende geht Hilda Helyes immer öfter neue Wege, denn das Lernverhalten der Studierenden hat sich in den letzten Jahren – auch durch die Corona-Situation – verän dert: »Die Idee, dass sie immer alles Wissen in der Tasche haben, gibt den Studierenden große Sicherheit und hinterlässt uns Lehrende mit der Frage: Was unterrichten wir und wie unterrichten wir es?«

Hier kommt Silke Schwaiger vom Teaching & Learning Center der FHWien der WKW ins Spiel (siehe Kasten links). Sie sagt: »Die Lehren aus den Corona-Semestern fließen in den Auf- und Ausbau unserer Angebote ein. Damals hatten wir zum Beispiel am Schreibzentrum starken Zulauf von Bachelor-Studierenden. Diese haben ein großes Bedürfnis nach audiovisuellen Inhalten. Deshalb setzen wir auf die Erstellung kürzerer Lernvideos und Podcasts, mit denen man die Präsenzlehre entlasten kann.«

Beide Seiten gestalten den Unterricht Hilda Helyes greift wie viele andere Lehrende gerne auf dieses Angebot zurück und nutzt regelmäßig das E-Learning-Studio der FHWien der WKW. Schließlich, sagt sie, brauche man mittlerweile ein ganzes Arsenal

kreativer Methoden, um die Auf merksamkeit der Studierenden zu triggern: »Man muss viel switchen. Viele Methoden einbringen. Snack able Content. Ein fünfminütiges Video als Hausaufgabe aufgeben und in der Stunde darüber diskutieren. MiniTasks, Gruppen-Tasks, Umfragen, Diskussionen. Interaktiv arbeiten, Dialog schaffen und die Studierenden immer wieder aktivieren. Sie brauchen das Gefühl, dass sie den Unterricht aktiv mitgestalten können.«

Das heiße aber nicht, dass diese Generation weniger kompetent als frühere sei – vielmehr seien die Kompetenzen anders gelagert: »Zu sagen: In meiner Zeit war es besser, wäre Generationenblindheit. Es war nicht besser. Es war anders. Wenn wir als Lehrende verstehen, wie die junge Generation tickt, können wir sie unterstützen, ihre Kompetenzen zu entfalten.«

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»Mit Lernvideos oder Podcasts kann man die Präsenzlehre entlasten.«
Silke Schwaiger leitet das Schreibzentrum und das Competence Center for E Learning der FHWien der WKW. © feelimage/Matern Im E Learning Studio der FHWien der WKW können Lehrende unkompliziert multimediale Inhalte für den Unterricht erstellen.

»Echter Journalismus« der nächsten Generation

Die Generation Z sieht die Welt gespiegelt in Internet und sozialen Medien: Zwei österreichische Projekte wollen dafür sorgen, dass journalistische Qualitätskriterien auch dort Einzug halten.

Ob Covid-19 oder UkraineKrieg: 18- bis 24-Jährige konsumieren Nachrichten vor allem im Netz. Das zeigt der Digital News Report Österreich, der im Juni 2022 veröffentlicht wurde. Soziale Medien sind mit 55 Prozent die am weitesten verbreitete Quelle. »Dort ist echter Journalismus aber schwer zu finden«, sagt Valentine Engel vom Digitalverlag hashtag.jetzt. Sie findet, dass Recherche, Transpa renz, Storytelling und Integrität auf diesen Kanälen wenig bis gar keine Beachtung finden. Dies möchte das Start-up Hashtag ändern, das im März 2021 von Ex-»Datum«-Chefredakteur Stefan Apfl gemeinsam mit der Ge nossenschaft Bloomedia gegründet wurde. »Mit Hashtag versuchen wir, journalistische Inhalte so aufzuberei ten, dass junge Menschen sie konsu mieren wollen«, erklärt die 26-jährige Valentine Engel, die ihren Chef in einer Lehrveranstaltung des MasterStudiengangs Journalismus & Neue Medien an der FHWien der WKW kennengelernt hat und seit Novem ber 2021 im Digitalverlag arbeitet. »Deshalb verbinden wir journalistische Prinzipien oft mit Humor.«

Kommunikation auf Augenhöhe Witzig klingen bereits die Namen der Bewegtbild-, Audio- und CrossFormate, die Hashtag auf Instagram, TikTok oder YouTube präsentiert: Auf geschichte.oida etwa erfahren die 17.000 AbonnentInnen in Sekun den, wie amerikanische Soldaten 1945 – angeblich auf dem Weg in ein Bordell – in den Straßen Salzburgs mit ihrem Panzer steckengeblieben sind. Oder dass in den Vorarlberger Alpen bis 2001 tote Kühe gesprengt wurden, um sich den kostspieligen Abtransport zu sparen. Mit fadem Geschichtsunterricht hat der TikTokKanal weder inhaltlich noch in der Aufbereitung viel gemeinsam. »Kom munikation mit jungen Menschen muss auf Augenhöhe stattfinden. Die interessieren sich nicht dafür, wenn man zu ihnen herunterredet«, erklärt Engel die Bedürfnisse der GenZ. »Deshalb ist es für uns besonders wichtig, junge Menschen im Team zu haben, die ihre Sichtweisen in die Arbeit einfließen lassen.« So wurde geschichte.oida nicht nur von Studie renden der FH Joanneum in Graz in einem Seminar für Onlinejournalis mus mit Stefan Apfl entwickelt. Vier

JungjournalistInnen aus diesem Umfeld sind es auch, die die »random facts der österreichischen Geschichte« seit Jänner 2022 präsentieren.

Dass die Studierenden von der Themenwahl bis zum Fact-Checking journalistisches Handwerkszeug nutzen, dafür sorgt das neunköpfige Hashtag-Kernteam. Das Start-up, das auch Formate für rund zwei Dutzend Kunden wie die Stadt Wien und den waff produziert, versteht sich als Inkubator und »Hub für Medienschaf fende mit journalistischem Ethos«, sagt Engel, die im dritten Semester des Master-Studiengangs an der FHWien der WKW ist: »Wir beraten Personen in ihrem beruflichen Tun – inhaltlich,

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Valentine Engel von Hashtag bereitet Inhalte journalistisch so auf, dass sich die GenZ angesprochen fühlt. © privat

formal und unternehmerisch.« Diese bewerben sich auf Castingaufrufe oder werden direkt gescoutet. »Auf der anderen Seite melden sich laufend Menschen bei uns, die auf die eine oder andere Weise mit uns kooperie ren wollen«, ergänzt die Assistentin der Geschäftsführung, deren Aufga benbereich von der Organisation der Castings bis zur InfluencerInnenBetreuung reicht.

Energie zum Mitreden

Junge JournalistInnen sind auch bei Iris Strasser und ihren Kollegen von BAIT »grundsätzlich jederzeit will kommen«. Neben dem Produzieren von Inhalten für soziale Medien, sollen sie vor allem Fake News aufdecken. Zwar seien »Falschnachrichten keine Probleme, die nur junge Menschen betreffen«, sagt die Redakteurin. Doch äußert laut Digital News Report Österreich jeder Dritte Bedenken, im Internet zwischen Fakes und Fakten unterscheiden zu können. Anders als Boomer oder Millennials seien GenZ aber »aufnahmefähiger, haben die Energie mitzureden und vor allem noch Zeit etwas zu verändern. Des halb setzen wir bei ihnen an.«

Die Idee zum Fact-CheckingKanal kam Strassers Mitstreitern Thomas Prager und Tim Dombrowski vom Verein Digitaler Kompass – Ins titut für Nachrichtenkompetenz und digitale Bildung vor drei Jahren: »Der Digitale Kompass besucht jedes Jahr eine Vielzahl an Schulklassen, um Me dienkompetenz zu unterrichten, und steht dadurch in direktem Austausch

mit SchülerInnen, die über Sehge wohnheiten und Trends gerne berich ten«, erklärt die 23-Jährige die Anfänge des Projekts. Mit den Jugendlichen er arbeitete das Team das journalistische und grafische Konzept von BAIT: In kurzen Clips sollen auf TikTok – und damit erstmals dort, wo sich die 13bis 19-Jährigen aufhalten – Trends und Themen auf Richtigkeit überprüft werden. Zusätzlich möchte BAIT den Jugendlichen zeigen, wie sie Fake News erkennen können: »Neben den klassischen Tools wie BilderRückwärtssuche, Tineye und YouTube Data Viewer fehlen die theoretischen Hintergründe, die es braucht, um Falschinformationen aufdecken zu können, weil herkömmliche Medien oft nicht beim Wissensstand von

Iris Strasser vom Projekt BAIT sensibilisiert junge Menschen für Fake News.

um zum einen die Vorgehensweise im Journalismus zu verstehen und in das Privatleben integrieren zu können und zum anderen das allgemeine Vertrauen in den Journalismus zu stärken.«

Eine Generation, die Informationen überprüft

SchülerInnen ansetzen«, sagt Stras ser. Die Kurzvideos sollen hier zum Diskurs anregen. »Zugleich versuchen wir den RezipientInnen die Arbeit von JournalistInnen näherzubringen,

Die Weichen sind gestellt: Nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kam pagne steht mit Ines Holzmüller eine erfahrene Faktencheckerin bei BAIT in den Startlöchern. Die 31-jährige Absolventin des Master-Studiengangs Journalismus & Neue Medien war zuletzt bei faktiv, dem FaktencheckKanal des Nachrichtenmagazins Profil, tätig. Ab Mitte November soll sie als Chefredakteurin dafür sorgen, dass Anfang 2023 die ersten Inhalte auf dem neuen Kanal zu sehen sind. Damit rückt BAIT seiner Vision von einer »Generation Heranwachsender, die journalistische Grundtechniken beherrscht und Informationen im digitalen Raum selbständig auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht« einen Schritt näher.

FORSCHUNGS PROJEKT

Iris Strasser und ihre KollegInnen gehen auch direkt in Schulklassen, um Medienkompetenz zu unterrichten.

Wie hat sich das Medienverhalten der Generation Z während der Covid 19 Pandemie verändert? Und was erwarten Jugendliche vom Journalismus? Auf diese beiden Fragen kon zentrierte sich ein Forschungs projekt von Gisela Reiter und Jana Bernhard von der FHWien der WKW. Die Antworten darauf finden Sie hier:

https://tinyurl.com/mvxp47vm

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© Digitaler Kompass
© Marko Laitinen
»Kommunikation mit jungen Menschen muss auf Augenhöhe stattfinden. Die interessieren sich nicht dafür, wenn man zu ihnen herunterredet.«
Valentine Engel

Aufbauen statt niedermachen

»Talkin’ ’bout my generation«, sang die britische Rockband »The Who« Mitte der Sechzigerjahre, und weiter: »People try to put us down«. Der alte Konflikt: Die junge Generation begehrt gegen die herrschende auf. Doch wie schnell überholt sich diese Machtverteilung! Schon wenige Jahre später sind die Jungen selbst am Arbeitsmarkt, an der Macht und lenken die Geschicke der Gesellschaft. Umso wichtiger, dass die Entscheidungs trägerInnen von heute die Interessen, Bedürfnisse und Skills ihrer NachfolgerInnen mitdenken.

Und genau darum geht es in unserer STUDIO!-Coverstory: um die Frage, was die heute 12- bis 27-Jährigen umtreibt. Viele unserer Studierenden gehören ihr an, der Generation Z, die in jungen Jahren – nicht zuletzt wegen Corona – bereits krisenerfahren ist. Und die als erste Generation voll und ganz mit digitalen Kommunikationsmitteln und dem Wissen des Inter nets aufgewachsen ist. Als Bildungseinrichtung kommen wir den Bedürfnissen dieser Generation entgegen. Wir lernen von ihr, damit sie von uns lernen kann.

Das wohl wichtigste Interesse der GenZ ist, dass wir ihr einen intakten Planeten übergeben. In unserer aktuellen Ausgabe kommen deshalb einige Persönlichkeiten vor, die dabei Vorbilder sein und Impulse geben können: Franzisca Weder, eine Expertin für Nachhaltigkeitskommunikation (Seite 20), Josef Weghaupt, der Gründer von Joseph Brot (Seite 24), und Alice Schmidt, Autorin von »The Sustainability Puzzle« (Seite 30).

Lassen Sie sich inspirieren und bleiben Sie jung!

Ihr Michael Heritsch

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Michael Heritsch, CEO FHWien der WKW © feelimage/Matern

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Reverse Mentoring: Von den Jungen lernen

Ein Themenschwerpunkt über die Generation Z, ohne die Jungen selbst zu Wort kommen zu lassen? Geht gar nicht. Wir haben vier Teenager nach ihren Zukunftsplänen gefragt – und danach, was Ältere besser machen könnten.

Seit 2019 kooperiert die FHWien der WKW mit der Vienna Business School in Wien-Josefstadt (siehe Factbox). Naheliegend, sich mit SchülerInnen des dortigen 4. Jahrgangs zusammenzusetzen. Gemeinsam mit ihrem Lehrer, John Toth, kamen Anika Künzel, Sophie-Marie Hofmann, Maximilian Hrebicek und Leonie Malek (alle 17 Jahre alt) zum Gespräch ins Café Florianihof und diskutierten bei Kaffee und Cola.

Laut Statistik macht die finanzielle Situation eurer Generation die größten Sorgen.Wie zuversichtlich seid ihr, dass ihr euch bis ins Alter absichern könnt?

Leonie: Dadurch, dass ich auf eine HAK gehe, bin ich zuversichtli cher als andere. Ich habe eine gute Ausbildung.

Anika: Ja, mit Matura haben wir es leichter.

Sophie-Marie: Ein konkreter Plan hilft auch: Ich möchte zuerst Me dizin studieren und mich dann auf Radiologie spezialisieren.

Sie ist alleinerziehend und trotzdem erfolgreich im Job. Ihre Work-LifeBalance hat sie super hinbekommen.

Lernen & Medien

Wie informiert ihr euch und welche Medien nutzt ihr?

Alle nennen zunächst Instagram und hier als erstes den Account der »ZIB«.

Leonie: Ich schaue die »ZIB« aber auch im Fernsehen – bei Wahlen zum Beispiel. Klassischen Medien wie dem »Standard« oder der »ZIB« vertraue ich eher als zum Beispiel Infos auf TikTok.

Work-Life-Balance & Karriereziele

Wie stellt ihr euch ein Leben vor, das euch zufrieden macht?

Anika: Ich möchte nach der Ausbildung verschiedene Jobs ausprobieren, um herauszufinden, was mich wirklich interessiert. Ich hoffe außerdem, dass ich mir keine Gedanken mehr über Geld machen muss und mir leisten kann, was ich möchte.

Sophie-Marie: Materielle Dinge sind mir gar nicht so wichtig. Ich möchte in meiner Arbeit erfolgreich sein und würde mich freuen, wenn man sich später mal an das erinnert, was ich erreicht habe.

Max: Ich möchte als Unternehmer in der Finanzdienstleistung erfolgreich sein. Gesundheit, Familie, soziales Umfeld, finanzielle Freiheit sind wichtig. Wenn es da passt, wird es mir gut gehen.

Max: Die ersten paar Jahre, bis man ins Arbeitsleben reinkommt, könnten schwierig werden, und ich glaube auch, dass die Jugend heute auf größerem Fuße lebt als die Eltern generation. Hier oder dort müsste man einsparen.

Wie sieht für euch ein attraktiver Arbeitgeber aus?

Anika: Flexible Arbeitszeiten. Home office. Desksharing. Abwechslung. Sophie-Marie: Ein respektvoller Umgang miteinander und Gender-Equality.

Max: Respekt, Vertrauen. Niemand sollte herablassend agieren. Flexibili tät: Ein oder zwei Tage von zu Hause zu arbeiten, wäre schön.

Habt ihr Vorbilder in der Arbeitswelt?

Die meisten schütteln den Kopf. Leonie: Das klingt vielleicht kitschig, aber mein Vorbild ist meine Mutter:

Anika: TikTok ist eher für Unternehmen, die dort ihre Firma promoten. Ich nutze es zur Unterhaltung, weniger zur Information.

Sophie-Marie: Ich recherchiere viel im Internet und lese Zeitschriften.

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© Maya McKechneay

Max: Neben der »ZIB« haben auch »Die Presse« oder »Der Standard« Insta-Accounts. Ich schaue aber auch ganz klassisch TV-Nachrichten oder höre Radio. Und ich suche viele Informationen auf Google.

Welche Quellen nutzt ihr zum Lernen?

Leonie: YouTube-Videos sind beispiels weise in Geschichte sehr wichtig. Sonst lerne ich am liebsten aus Bü chern oder ich googele Inhalte. Bevor ich mir aber ein Video ansehe, lese ich lieber einen Text.

Sophie-Marie: Ich lerne auch gerne mit Büchern! Da hat man was in der Hand. Details kann man auf Google suchen oder gleich konkret auf YouTube.

Zukunft

Was kann die Generation der jetzt 40- bis 50-Jährigen von euch lernen?

Anika: Technik und Computer: Das können wir besser. Man muss sich nicht immer persönlich treffen, um ein Gespräch zu führen. Und man muss auch nicht alles ausdrucken (lacht).

Sophie-Marie: Wir SchülerInnen haben uns mit dem Homeschooling viel leichter getan als Ältere mit dem Homeoffice …

Max: … die hat das Homeoffice wäh rend Corona überfordert. Wir dagegen arbeiten schon seit der ersten Klasse mit Laptop. Wir beherrschen Online und »Teams«.

Leonie: Was man auch von uns lernen kann: Toleranz und Offen heit. In meiner Familie gibt es oft

Diskussionen über Themen wie Sexualität. Da ist Offenheit wichtig.

Was würdet ihr Entscheidungs trägerInnen raten?

Anika: Zum Thema Nachhaltigkeit gäbe es viel zu sagen. Und zum Thema Gender-Equality.

Leonie: Für mich persönlich ist Nach haltigkeit wichtig. Unsere Zukunft hängt ja davon ab. Und soziale Fragen. Die sind in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt – man könnte viel mehr tun!

Stichwort Nachhaltigkeit:Wärt ihr bereit, euch einzuschränken? Weniger zu heizen oder auf Fernreisen zu verzichten?

Anika: Ich denke schon, dass ich mich einschränken könnte. Aber es bringt nichts, wenn ein anderer Mensch dafür nichts macht. Man müsste ein Gleichgewicht herstellen. Statt allen Menschen Vorschriften zu machen und vieles zu verbieten – Autofahren zum Beispiel –, sollte man nach Alter nativen suchen …

Anika: … und die Politik sollte die Rahmenbedingungen vorgeben.

Leonie: Rahmenbedingungen ja, aber nicht die Menschen komplett ein schränken! Das könnte – wie man bei Corona gesehen hat – nach hinten losgehen.

Sophie-Marie: Auf politischer Ebene kann mit Kontrollen viel getan werden: Einige Produkte sollten gar nicht zugelassen werden, wenn es schon nachhaltigere Alternativen gibt.

Max: Vorhin habe ich im Radio gehört: Die Kreislaufwirtschaft beginnt zu boomen. Viele Unternehmen set zen da Initiativen. Änderungen am System bringen ja viel mehr, als wenn ein Einzelner auf seinen Flug nach Amerika verzichtet.

Worauf freut ihr euch am meisten, wenn ihr ans Erwachsenenalter denkt?

Leonie: Auf die Unabhängigkeit. Daheim ausziehen, Entscheidungen treffen, Erfahrungen machen.

Von links nach rechts: VBS SchülerInnen Leonie Malek, Sophie Marie Hofmann, Anika Künzl und Max Hrebicek.

Max: Ich freue mich darauf, mein Wissen anwenden zu können. Vieles auszuprobieren, aus Fehlern zu lernen, meine Persönlichkeit weiterzuentwi ckeln, meinen Horizont zu erweitern.

REVERSE MENTORING

Kooperation von Vienna Business School Schönborngasse und FHWien der WKW

Reverse Mentoring kehrt das klassische Prinzip – Ältere geben ihr Wissen an Jüngere weiter – um: Stattdessen teilen Jüngere ihre Erfahrungen, Sicht weisen und Vorstellungen mit Älteren. Die Zusammenarbeit von Vienna Business School und FHWien der WKW bringt HAK SchülerInnen mit Führungskräften aus der Wirtschaft zu sammen, um Erfahrungen zum Thema »Digitale Transformation« auszutauschen. Denn in diesem Themenfeld machen Jüngere ganz andere Erfahrungen als etablierte Führungskräfte.

Dazu Sebastian Eschenbach, projektverantwortlich aufseiten der FHWien der WKW: »Die Voraussetzung ist: gegenseiti ge Wertschätzung, Neugierde auf andere Lebenswelten, die Offenheit, sich überraschen zu lassen, und auch eine gewisse Distanz – den Lehrling aus dem eigenen Betrieb oder die eigene Tochter kann man nicht gut fragen, was er oder sie über das Darknet weiß.«

Für Fragen stehen John Toth, j.toth@vbs.ac.at (Vienna Business School) und Sebastian Eschenbach, sebastian.eschenbach@fh wien. ac.at (FHWien der WKW), gerne zur Verfügung.

Ich will nicht behütet werden, sondern mich aktiv engagieren, etwas bewegen.

Sophie-Marie: Ich stelle es mir schön vor, auf eigenen Beinen zu stehen. Dazuzulernen. Selbstständiger zu werden. Ich will mich gar nicht mehr auf die Eltern verlassen und beschützt werden.

Anika: Ich glaube: Erst wenn man als Erwachsene die Theorie in die Praxis umsetzt, versteht man wirklich, was man gelernt hat – und wozu.

STUDIO! # 04 DEZEMBER 2022 13 im fokus

Auf Forschungsmission

An der FHWien der WKW wird nicht nur unterrichtet, sondern auch geforscht – und die Forschenden sind international unterwegs, um ihre Erkenntnisse zu teilen und neue zu gewinnen.

Fachhochschulen werden nach wie vor von vielen als reine Ausbildungsstätten wahrgenommen. Dabei stehen auch sie für das jahrhundertalte Ideal der Einheit von Forschung und Lehre – und inzwischen bekommt die Forschung deutlich mehr Raum als in der Anfangszeit der Fachhochschulen in Österreich. Von dieser Ausrichtung profitieren die Studierenden ebenso wie die Lehrenden, ist Walter Mayrhofer, Head of Research der FHWien der WKW, überzeugt. »Die Anstöße für neue Ideen kommen meistens von außen«, sagt er. Das können Inputs von Studierenden für die Forschung sein, aber auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die in die Lehre einfließen. Der Austausch mit der internationalen Forschungscommunity – etwa bei Konferenzen –bringe wesentliche Impulse für die Forschungsarbeit und für die Lehre: »Man bleibt am Ball und vermeidet, die Lehrveranstaltung gleich wie im Jahr davor zu gestalten.«

Repräsentieren und profi tieren

Die WissenschaftlerInnen der FHWien der WKW sind daher in aller Welt unterwegs. Ein paar aktuelle Beispiele: Daniela Ortiz, Academic Head des Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy (IBES) der FH, reiste im Sommer nach Seattle, um

dort neueste Forschungsergebnisse zu präsentieren und mit internationalem Fachpublikum drängende Fragen der Unternehmensethik zu diskutieren. Die Senior Researcher Ilona Pezenka und David Bourdin präsentierten die Ergebnisse einer Studie über Empathie in Verkaufsgesprächen auf der European Marketing Academy EMAC in Budapest. Und Gisela Reiter, Teaching & Research Associate im Studienbereich Journalism & Media Management, referierte über ihre Forschungserkenntnisse zu den Auswirkungen von gefälschten Umfragen und zu politischer Korruption beim internationalen Protagoras Symposium 2022 in Brüssel.

Forschung als runde Sache

Auch in Walter Mayrhofers unmittelbarem Wirkungsbereich gibt es mit dem Projekt »ENHANCE« ein Beispiel, bei dem Forschung und Lehre »wunderschön und prototypisch positiv Hand in Hand gegangen sind«. Mayrhofer hat es gemeinsam mit KollegInnen von der TU Wien aufbauend auf Ergebnissen von Partnern aus Italien und Estland aufgesetzt. Das Projekt war Teil des groß angelegten EU-Vorzeigeprogramms EIT Manufacturing, das Europas Produktion wettbewerbsfähig und nachhaltig gestalten will. Einige der Ergebnisse von »ENHANCE« wurden dieses

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»Forschung hat nur in einem größeren Kontext Sinn.«
Walter Mayrhofer
© Flo Hanatschek
Walter Mayrhofer, Head of Research der FHWien der WKW Kirstie Riedl nahm am Think Global Festival der Hogeschool van Amsterdam teil.

Jahr von Gerald Schneikart, Senior Researcher und Projektleiter am Institute for Digital Transformation and Strategy der FHWien der WKW, bei der TAKE Conference in Porto präsentiert. Basierend auf einer von EIT Manufacturing entwickelten Lernplattform wurden Kurse für die Programmierung von Robotern dazu verwendet, einen LernperformanceIndex zu entwickeln. Dieser wurde dann auch in einer Lehrveranstaltung von Studierenden getestet.

»Dinge, die wir prototypisch erforscht hatten, haben wir anschließend in der Lehre eingesetzt. Die Studierenden fanden es richtig schön zu sehen, wohin sich technologieunterstütztes Lernen entwickeln wird«, berichtet Mayrhofer über das kurzfristige Projekt: »Mittendrin dachte

ich, vielleicht haben wir uns ein bisschen viel vorgenommen. Aber der Kreis hat sich geschlossen.« Das Feedback der Studierenden fließe jetzt in die nächste Projektphase ein. Der Zusammenhang von Forschung und Lehre hat aber auch noch eine andere, formale Dimension, sagt Mayrhofer. »Man muss auf internationaler Ebene präsentieren, um EU-Fundings für die Weiterentwicklung eines Projekts zu bekommen.« Das sei auch richtig so. »Unsere Forschung ist teuer und hat nur Sinn, wenn sie in einem größeren Kontext gemacht wird.«

Corona als Gamechanger

Und wie fühlen sich Forschungsreisen seit Corona an? Mayrhofer ist überzeugt, dass hybride Veranstaltungen weiter dominieren werden. »Wie oft

bin ich unnötig um 4 Uhr in der Früh für ein zweistündiges Meeting nach Deutschland oder Italien geflogen und kurz vor Mitternacht wieder heimgekommen? Solche Besprechungen werden sich stark ins Digitale verlagern.« Andererseits bleiben physische Treffen in der Forschung weiterhin wichtig. »Aber wenn man sich trifft, sollte man sich ganz bewusst treffen, genügend Zeit für den sozialen Aspekt einplanen und auf Interaktion statt Frontalvortrag setzen – zum Beispiel, indem die Teilnehmenden mit einem Forschungsmindset gemeinsam an einem Problem arbeiten.« Den Rest, sagt Walter Mayrhofer, könne man alleine online aus der »Lernkonserve« konsumieren und die Zeit, die man physisch miteinander verbringt, für Interaktion und Coaching viel effizienter verwenden.

STUDIO! # 04 DEZEMBER 2022 15 jenseits von währing
Gisela Reiter referierte beim internationalen Protagoras Symposium 2022 in Brüssel. Ilona Pezenka und David Bourdin präsentierten die Ergebnisse einer Web­Analytics­Lab­Studie auf der EMAC 2022 in Budapest. Simon Lehrner (l.) und Matthew Urmston vom Competence Center for Business English hielten einen Vortrag im Rahmen der 55. IATEFL­Konferenz in Belfast (Nordirland). Daniela Ortiz (3. v. l.) und ihr Team präsentierten ihre Forschungsergebnisse bei der AOM 2022 und SBE 2022 in Seattle. © IHECS
Fotos, wenn nicht anders angegeben: privat

Alles läuft

Krebs besiegt, Studium abgeschlossen, Karriere gemacht: Weil es für Ulrich Zwirchmaier in den letzten Jahren gut gelaufen ist, lässt er jetzt andere für den guten Zweck laufen.

Er war 29, ambitioniert, stu dierte berufsbegleitend, wollte weiterkommen – und erkrankte. Diagnose Lymphknotenkrebs. Heute ist der Grazer Ulrich Zwirchmaier 38 Jahre alt, hat das MSc-Studium Handelsmanagement der FHWien der WKW längst abgeschlossen, die halbe Welt bereist, macht international Karriere und organisiert als Obmann der Steirischen Leukämiehilfe den Steirischen Leukämielauf. Es ist die Erfolgsgeschichte eines Menschen, den völlig unvorbereitet eine schwere Krankheit traf, von der er zunächst nicht wusste, ob sie heilbar ist.

Laufen für die Forschung Am 23. September 2022 fand in Graz der Steirische Leukämielauf mit rund 500 TeilnehmerInnen wieder statt – das erste Mal seit Pandemiebe ginn. »Wir sind sehr happy mit dem Restart«, sagt Zwirchmaier. Der Leu kämielauf ist die größte Veranstaltung der Steirischen Leukämiehilfe und soll ein Bewusstsein für die Krankheit schaffen. Er ist zugleich die wichtigste Einnahmequelle des Vereins, der mit den Spendengeldern die Forschung an der Klinischen Abteilung für Hämatologie am Landeskrankenhaus Graz unterstützt. »Aktuell finanzieren wir drei Planstellen für mehrjährige Forschungsprojekte«, betont der Ob mann. Zuletzt hat der Verein zudem 20.000 Euro für einen Zellsorter – ein für die Leukämieforschung wichtiges medizintechnisches Gerät – zuge schossen.

Zwirchmaiers Ziele für den Verein sind, das Veranstaltungsange bot auszubauen und die Steirische Leukämiehilfe bekannter zu machen:

»Wir stehen ein wenig im Schatten der Österreichischen Krebshilfe. Wir sind nischiger und müssen der Öffent lichkeit zeigen, wer wir sind und was wir tun.« Zum Vereinsobmann wurde Zwirchmaier, weil seine Vorgängerin seine Vorgeschichte kannte und ihn anheuerte. Zwirchmaier übernahm im Vorjahr das Amt. »Mir ist es ein Anliegen, etwas zurückzugeben, weil es schließlich nicht selbstverständlich ist, dass der Krebs heilbar ist«, wie er betont.

Akquise ist Akquise

Im Berufsleben baut Ulrich Zwirch maier als Head of Partnerships DACH Area das internationale Vertriebsnetz des französischen IT-Dienstleisters Axxès, Spezialist für Lkw-Mautboxen, weiter aus. Das Unternehmen ist in Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel Marktführer. Vertriebsprofi bei Tag und soziales Engagement nach Dienstschluss – das passt für Zwirchmaier gut zusammen: »In bei den Fällen geht es ums Netzwerken, darum, die richtigen Leute anzuspre chen. Am Ende des Tages ist Spenden akquise auch Akquise. Da gibt es durchaus Parallelen.«

Plötzlich krank

Zurück in die Jahre 2014/15: Zwirch maier studiert neben dem Job an der FHWien der WKW – allerdings nicht in Wien, sondern in Graz, im Rahmen einer Kooperation mit dem WIFI Steiermark. Er absolviert also ein ziemlich dichtes Programm, als er sich eingestehen muss, dass mit ihm etwas nicht stimmt: »Mit 29 schiebt man das auf den Arbeitsstress, wenn es einem auf einmal nicht mehr so gut geht.«

Ulrich Zwirchmaier, Obmann der Steiri schen Leukämiehilfe

privat

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© Gettyimages/Hiroshi Watanabe
©

Es folgten eine gewaltige Gewichts abnahme und ein rasantes Wachstum des Lymphoms. »Ich habe kaum mehr Luft bekommen, und dann ging es schnell«, erinnert er sich.

Während der Chemotherapie arbeitete Zwirchmaier weiter. »Ich habe zunächst auch versucht, weiter zu studieren, habe aber gemerkt, dass mir das zu viel wird, und bin dann ein Jahr später wieder an die FH zurückgekehrt«, sagt er. Viele neue Gesichter, doch er fand rasch zurück ins Studium, stemmte Masterarbeit und Diplomprüfung und hatte ein Jahr später seinen Abschluss. »Darauf bin ich schon sehr stolz«, erklärt er.

Angst und Achtsamkeit

Trotz Heilung sei so eine Krankheit nie ganz abgeschlossen. Was bleibt, ist das Trauma: »Man verdrängt es, doch der Hintergedanke, dass irgendwas nicht passen könnte, ist immer da. Man ist ein gebranntes Kind«, sagt Zwirchmaier.

Stärker auf Herz und Bauch zu hören, zählt zu den Dingen, die ihn die Krebserkrankung gelehrt hat. »Was bringt es, Träume ewig aufzuschie ben. Ich habe jedenfalls die Länder gesehen, die ich immer schon sehen wollte«, sagt er. Reisen ist seine große Leidenschaft.

Im Berufsleben weiß der Ver triebsprofi heute, wie man professio nell arbeitet, ohne auszubrennen: »Ich arbeite sehr gerne und auch viel, doch wenn ich merke, dass es zu viel wird, nehme ich mir ein, zwei Tage frei. Ich lasse mich nicht verbrennen.«

Humor behalten und Ziele setzen

In seinem Privatleben umgibt er sich mit Menschen, die ihm guttun. Das sind seine Verlobte, Familie und Freunde. Vor allem die engsten Freun de hatten in der Zeit der Krebsthe rapie eine Schlüsselrolle inne. »Das waren immerhin acht Monate meines Lebens, und ihre Schmähs haben mir geholfen, das durchzustehen«, sagt

Zwirchmaier. So waren Floskeln à la »ich wünsche dir viel Kraft, du wirst das schon schaffen«, die Krebskranke immer und immer wieder zu hören bekommen, der Stoff für viele Insider witze. »Ich finde es wichtig, dass man sich seinen Humor erhält«, findet er. Genauso wichtig wie Ablenkung war für ihn während der Therapie, Ziele zu haben. »Man braucht Anker punkte in der Zukunft«, weiß er aus Erfahrung. Einer dieser Punkte war die Rückkehr an die FH nach einer Reise nach Mallorca.

Ulrich Zwirchmaier

Zwirchmaiers Rat: Sich mit Menschen umgeben, die einem guttun.

STUDIO! # 04 DEZEMBER 2022 17 vision
»Mit 29 schiebt man das auf den Arbeitsstress, wenn es einem auf einmal nicht mehr so gut geht.«

Für ihr Berufspraktikum wählte Tourismus Studentin Chiara Despotovic ein Luxushotel mitten im Indischen Ozean.

Sammelband »Zukunft verantwortungsvoll gestalten«

Wie gestaltet man die Zukunft verant wortungsvoll? Damit beschäftigt sich der aktuelle Sammelband der SpringerSchriftenreihe »Forschung und Praxis an der FHWien der WKW«. Er enthält 17 Beiträge des Forschungsforums der österreichischen Fachhochschulen 2021. Auf knapp 260 Seiten präsentiert das Buch Denkanstöße, Studien und Best-Practice-Beispiele und widmet sich dabei der einleitenden Frage aus den Perspektiven von Technik und Informationstechnologie sowie Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheits wissenschaften.

POST VON

Das Institute for Business Ethics & Sustainable Strategy (IBES) der FHWien der WKW präsentierte eine aktuelle Studie zur Lieferkettenver antwortung in Österreich, die das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) in Auftrag gege ben hatte. Die IBES-Studie zeigt, dass sich ein aktueller EU-Richtlinienvor schlag zu diesem Thema zwar nur auf 0,1 % der heimischen Unternehmen

… den Malediven

»Willkommen auf den Malediven! Mit dem Praktikum im Four Seasons Resort at Kuda Huraa habe ich ein völlig neues Kapitel in meinem Leben aufgeschlagen. Die ersten Schritte in der Hotelbranche mit KollegInnen aus der ganzen Welt lassen dieses kleine Stück Erde noch wundervoller erscheinen, als es das bereits ist. Viele neue Erfahrungen mit Gästen mit verschiedenen Hintergründen ermöglichen mir einen Fortschritt auf professioneller, aber auch persönlicher Ebene. Ich sende tropische und ganz liebe Grüße von den Malediven nach Wien!«

direkt auswirkt. »Sehr viele österrei chische KMU sind aber als Zulieferer von Lieferkettenregulierungen anderer Länder betroffen, ohne von den Repu tationsgewinnen und anderen Vortei len der Lieferkettenverantwortung zu profitieren«, resümiert Studienautorin Maria Riegler. Sie empfiehlt den Un ternehmen, Lieferkettenverantwortung als nachhaltig ausgerichtete Investi tionsmaßnahme zu sehen.

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© privat
news
Warum sich KMU mehr mit Menschenrechten und Umwelt befassen sollten
© Markus Hechenberger

Career Day: 37 Firmen suchten Talente

Einmal mehr vernetzte der Career Day der FHWien der WKW am 6. Oktober Topunternehmen mit Studierenden und Alumni. »Diesmal konnten wir unsere Unternehmens partner endlich wieder persönlich auf unserem Campus begrüßen«, freute sich Michael Heritsch, Geschäfts

führer der FHWien der WKW, nach den rein digitalen Ausgaben der Veran staltung in den letzten beiden Jahren. Mehr als drei Dutzend renommierte Firmen kamen zur Karrieremesse der Fachhochschule für Management und Kommunikation, um Talente zu suchen und zu finden.

TICKER

Stiftungsprofessur zu nachhaltigem Städtetourismus Die FHWien der WKW bekommt eine neue Stiftungsprofessur. Ziel ist der Aufbau eines Forschungs programms für nachhaltige und resiliente Standort und Touris musentwicklung. Das Themenfeld reicht von Mobilitätskonzepten bis zur Lebensqualität der lokalen Bevölkerung.

Studie zu Maschinen-Miete

Die FHWien der WKW wertete eine Umfrage aus, die sich um die Vor und Nachteile von Pay per Use Modellen für Ma schinen in der Industrie dreht. Fazit: Maschinen und Anlagenbaufirmen sehen in einem Miet Ansatz zwar viel Potenzial, aber scheuen oft davor zurück –unter anderem wegen ungeklär ter Haftungsfragen.

vor Ort

Den Abschluss des SDG Days bildete eine Panel Diskussion zum Thema »Klimaneutrale Städte«.

SDG Day 2022: Nachhaltige Städte im Fokus

Zum zweiten Mal organisierte die FHWien der WKW einen SDG Day –dieses Mal als Präsenzveranstaltung. Von den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen stand diesmal Ziel 11 im Mittelpunkt: nachhaltige Städte und Siedlungen. Einen Nachmittag und Abend lang bekamen Studierende, Lehrende sowie MitarbeiterInnen und VertreterInnen von Unternehmen, Wissenschaft und NGOs die Möglichkeit, sich dazu auszutauschen und Inputs von ExpertInnen abzuholen. Die Keynote »Cities and the climate crisis« hielt Gernot Wagner, Professor an der Columbia Business School in New York.

Preis für journalistische Talente

Zum vierten Mal vergab der Studienbereich Journalism & Media Management der FHWien der WKW Ende September den mit insgesamt 3.000 Euro dotierten Journalismus Nach wuchspreis: Acht journalistische Talente wurden für die besten Praxisarbeiten des letzten Jahres ausgezeichnet.

Neue IBES-Doppelspitze

Dr. Nils Kruse und FH Prof.in Dr.in Daniela Ortiz Avram übernahmen mit Oktober 2022 die Leitung des Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy (IBES) der FHWien der WKW von ihrem Vorgänger Dr. Markus Scholz.

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Endlich wieder statt online: der Career Day der FHWien der WKW © Adrian Almasan © Markus Hechenberger

»Greenwashing funktioniert nicht mehr«

Gelungene Kommunikation ist der Schlüssel zu nachhaltigerem Handeln. Franzisca Weder, Universitätsprofessorin mit dem Fokus Nachhaltigkeitskommunikation, erklärt, warum das Thema weit über Öffentlichkeitsarbeit und Berichte hinausreicht und wie man es als Unternehmen angehen sollte.

Sie forschen zum Thema Nach haltigkeitskommunikation.Was alles umfasst dieser Begriff?

Franzisca Weder: Es gibt drei Perspekti ven: Einerseits sprechen wir von der Kommunikation von nachhaltigem Handeln nach außen und der Öf fentlichkeit gegenüber. Unternehmen sind nicht autark, sondern mit der Gesellschaft vernetzt und müssen den Erwartungen ihrer Stakeholder gerecht werden. Diese Dimension der Nachhaltigkeitskommunika tion nach dem Prinzip »Gutes tun und darüber sprechen« dominiert weiterhin.

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Text: Doris Neubauer Franzisca Weder ist in ihrem Fachgebiet in ternational angesehen.
© AAU

Beim American Football werden im »Huddle« die nächsten Spielzüge besprochen – das rät Weder auch Unternehmen.

Was sind die anderen Perspektiven?

Weder: Die zweite Dimension ist der öffentliche Diskurs über Nachhal tigkeit, an dem Unternehmen und Organisationen unterschiedlicher Art teilnehmen können. In den Massen medien passiert hier allerdings nicht viel. Im Bereich der sozialen Medien hingegen, insbesondere durch Influencer, findet dieser Diskurs statt. Die dritte Dimension ist die revolu tionäre: die Kommunikation für eine bessere Zukunft, für den Wandel. Da diskutieren wir über Alternativen zum kapitalistischen System. Das ist der Bereich, der vor allem durch NGOs und Zivilgesellschaft stimu liert wird. Unternehmen haben damit noch oft Schwierigkeiten. Allerdings gibt es auch die Form des Corporate Activism. In der Black-Lives-MatterBewegung haben beispielsweise einige Unternehmen soziale Verantwortung übernommen.

Besteht da nicht die Gefahr, dass Themen für die Unternehmens kommunikation instrumentalisiert werden?

Weder: Dieses Greenwashing funktio niert so nicht mehr: Als die ehemalige Grünen-Chefin Eva Glawischnig öf fentlichkeitswirksam zum Glücksspiel konzern Novomatic wechselte, hat das Diskussionen angeregt. Gemäß dem Prinzip der Skandaltheorie: Je mehr Diskussion, desto besser. So können wir unser moralisches Verständnis wieder neu einordnen und darüber nachdenken, was wir von einem Unternehmen erwarten, was für uns »gutes« und was »schlechtes« Handeln ist. Auch das ist ein Aspekt der dritten Dimension, der Kommunikation für den Wandel: Es muss der Finger auf wunde Punkte gelegt werden. Hand lungsveränderung passiert nämlich nur durch Irritation und wenn man aus der Komfortzone gedrängt wird.

Gleichzeitig soll die Kommunikation für den Wandel nicht so irritieren, dass sie ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt. Wie sieht die richtige Balance aus? Weder: Dabei darf man eine zentrale Frage nicht außer Acht lassen: Wer

kommuniziert hier eigentlich? Wer übernimmt die Federführung in der Definition unserer Leitwerte? Bisher ist die dominante Perspektive, dass es einen Kommunikator gibt, der Stakeholder zum Zuhören und Mittun bringen und in die richtige Richtung lenken möchte – das sind zumeist Unternehmen oder politische Akteure. Das ist aber ein einseitiger Prozess. Partizipation ist der Gegenbegriff: Hier geht es darum, weitere Kommu nikatoren zu identifizieren. Es ist wich tig, den Übergang von Engagement zu Partizipation zu schaffen.

treten sind wichtig. Was sind gemein same Themen verschiedener Abtei lungen? Im American Football gibt es den »Huddle«. Dabei versammeln sich die Spieler in der Mitte, um miteinander die nächsten Schritte zu diskutieren. Diesen Prozess des Aushandelns finde ich wichtig, wenn es um Nachhaltigkeit im Unter nehmenskontext geht. Wo können Kommunikationsräume geschaffen werden, in denen Mitarbeitende über Hierarchieebenen hinweg nachspü ren können, was Nachhaltigkeit für sie bedeutet? Das ist das Spannende am Masterstudium International Sustainability Communication: Wir unterrichten Executives, die diese Prozesse in Unternehmen künftig gestalten können.

FRANZISCA

Können Sie ein Beispiel bringen? Weder: Ein Unternehmen beschließt, auf Recycling zu setzen, kommuniziert die Idee über das Intranet an seine Mitarbeitenden und erwartet, dass alle mittun. Die Variante der Partizipation sieht anders aus: Zuerst stellt man fest, ob Nachhaltigkeitsthemen existieren, für die es im Unternehmen Experten gibt. Vielleicht sind ein paar Mitar beitende in der Altenpflege engagiert. Dieses Thema kann das Unternehmen aufgreifen und Position beziehen: Da für stehen wir, das ist wichtig. Diese Herangehensweise hat eine andere Systematik, als nach außen zu schauen und Recycling einzuführen, weil es andere auch tun. Diese Partizipation muss ich fördern und mit dem arbei ten, was ich habe.

Wie gelingt das?

Weder: Ausschlaggebend ist, wie man Beteiligung gestaltet. Zuhören, mitei nander vernetzen und in Beziehung

WEDER

ist Associate Professor an der Universität Klagenfurt und arbeitet derzeit an der University of Queensland, Brisbane, Australia. Im neuen berufsbegleitenden Masterstudium MA (CE) International Sustainability Communication an der FHWien der WKW wird die Expertin das Modul »Psy chological and Sociological Aspects of Sustainability Communication« unterrich ten und darin einen tiefe ren Blick auf die kulturelle Nachhaltigkeit werfen.

STUDIO! # 04 DEZEMBER 2022 21 aus der praxis
»Handlungsveränderung passiert nur, wenn man aus der Komfortzone gedrängt wird.«
© Shutterstock/Ground Picture
Franzisca Weder

Neun vergoldete Karrieren

Alles neu beim Alumni Award der FHWien der WKW: Gleich neun Absolventinnen und Absolventen wurden für herausragende berufliche Leistungen geehrt und durften die von Billi Thanner gestaltete Trophäe entgegennehmen.

Seit nunmehr 14 Jahren vergibt die FHWien der WKW Awards an ihre AbsolventInnen. Dieses Jahr wurden die Auszeichnungen erstmals in drei Kategorien an neun herausragende AbsolventInnen aus al len Studienbereichen vergeben. In der Kategorie »Professional Achievements« werden Alumni ausgezeichnet, die national oder international besondere berufliche Erfolge in ihrem Tätigkeits feld erzielen. Die Auszeichnung in der Kategorie »Shaping the Future« geht an Alumni, die zukunftsweisende Ant worten auf drängende Fragen finden, zum Beispiel im Bereich Nachhaltig keit oder digitale Transformation. Den Preis für »Exceptional Commitment to FHWien der WKW« erhalten Absol ventInnen, die sich besonders für die Lehre oder Forschung an der FHWien der WKW engagieren.

Neben diesen Kategorien ist auch die Trophäe neu: Die Wiener Künst lerin Billi Thanner, bekannt unter anderem für ihre Himmelsleiter am Wiener Stephansdom, hat die Awards gestaltet, die den PreisträgerInnen im Rahmen der Alumni-Nacht 2022 am 28. November überreicht wurden.

PROFESSIONAL ACHIEVEMENTS

Mag. Lukas Rendl, LL.M. MBA

Den akademischen Titel LL.M. führt der Jurist Lukas Rendl schon seit 2008. Im Jahr 2019 gesellte sich dazu der Titel MBA nach dem Abschluss des International MBA in Manage ment & Communications an der FHWien der WKW – und nur ein Jahr später stieg Rendl zum Head of Health Claims and Claims Process Management bei der Generali Versicherung auf.

Karina Schunker, MA MRICS

Seit Juni 2021 ist Karina Schunker Geschäftsführerin der EHL Wohnen GmbH, bei der sie 2012 im Vertrieb begonnen hatte. Parallel zu ihrem Job ab solvierte sie an der FHWien der WKW erst das Bachelor studium Immobilienwirtschaft und im Anschluss das Masterstudium Immobilienmanagement, welches sie 2019 abschloss. Zudem ist sie Präsidiumsmit glied der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft.

Silvia Bauer, BA

Nach der HAK startete Silvia Bauer ihre Karriere als Buchhalterin bei GfK und kurz darauf berufsbegleitend das Bachelor studium Finanz , Rechnungs und Steuerwesen an der FHWien der WKW. 2012 schloss sie dieses ab und übernahm im Job ihre erste Leitungsfunktion. Es sollte nicht die letzte bleiben: Heute ist Bauer CFO für Österreich und Schweiz – Director Finance and Administration bei GfK.

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© Mona Lechner © Lichtpunkt Fotografie © GfK Austria GmbH

SHAPING THE

FUTURE

Bernhard Blaha, BSc MA

Der Serienunternehmer Bernhard Blaha ist heute CEO von The People’s SCE – das Unternehmen mit Sitz in Luxemburg bietet Anwendungen an, die auf der Blockchain­Technologie basieren. Als fünffacher Gründer hat Blaha maßgeblich dazu beigetragen, rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen für Blockchain­ und iGamingUnternehmen zu schaffen. Sein Handwerk lernte er unter anderem an der FHWien der WKW, wo er 2017 das Masterstudium Executive Management abschloss.

Kosima Kovar, MA

Bekannt wurde Kosima Kovar durch die Gründung der ersten Social & Green Marketingagentur Österreichs – sgreening – bald nach ihrem Bachelor­Abschluss in Kommunikationswirtschaft an der FHWien der WKW 2017. Mit ihrem zweiten Unternehmen, der ADA Power Woman GmbH, vereint sie Female Growth mit Micro Learning: In kurzen Videos von führenden ExpertInnen erhalten die NutzerInnen Tipps zu »Körpersprache«, »Innere Haltung«, »Kommunikation & Rhetorik« etc.

Ambra Schuster, BA

Nach dem Abschluss des Bachelorstudiums Journalismus & Medienmanagement an der FHWien der WKW ging Ambra Schuster 2018 zu FM4 und arbeitete dort unter anderem an der Entwicklung neuer Formate für Radio, Online und Podcasts.

Mit ihrem Podcast »Ambra fragt« beschritt sie neue Wege im ORF­Digitalbereich. Seit Oktober 2021 präsentiert sie mit Idan Hanin die »Zeit im Bild« auf TikTok – ebenfalls ein Format, das sie selbst mitentwickelt hat.

EXCEPTIONAL COMMITMENT TO FHWIEN DER WKW

Mag. (FH) Alexander Dalinger

Die FHWien der WKW begleitet Alexander Dalinger schon sein halbes Leben: Er hatte bereits einige Jahre in der Marketing­Branche gearbeitet, als er sich für das (damals noch ganz junge) berufsbegleitende Diplomstudium Marketing & Sales entschied. Schon wenige Jahre nach dem Abschluss 2002 kehrte er 2007 als nebenberuflicher Lektor für Marketing, Werbung & PR an die Fachhochschule zurück.

Mag. (FH) Paul Blaguss

Sein Studium TourismusManagement an der FHWien der WKW schloss Paul Blaguss 2000 ab. Gleich danach stieg er ins Familienunternehmen Blaguss Reisen ein, das er seit 2003 leitet. Seiner Alma Mater blieb er stets verbunden: Aktuell ist Paul Blaguss Wirtschaftsbeirat der FHWien der WKW bzw. Fachbeirat des Studienbereichs Tourism & Hospitality Management – und sein Busunternehmen seit vielen Jahren Projektpartner.

MMag. a (FH) Dr. in Gudrun Gaedke Sie kennt die FHWien der WKW von allen Seiten: Erst studierte Gudrun Gaedke hier selbst Wissensmanagement, dann arbeitete sie viele Jahre als Studienbereichsleiterin im Bereich Human Resources & Organization. Heute ist die Doktorin der Rechtswissenschaften selbstständige Unternehmensberaterin und Business Coach, doch der Kontakt zu ihrer FH ist nicht abgerissen: Nach wie vor bildet Gudrun Gaedke als Lehr beauftragte zukünftige HR­Verantwortliche aus.

STUDIO! # 04 DEZEMBER 2022 23 blitzlichter
© privat © Martha Gattringer © Idan Hanin © KSR Group/Gabor Kovacs © Blaguss/Christian Lendl © Interfoto

Mainstream? Geht auch anders. Brotrebell Josef Weghaupt wagte, vieles anders zu machen als die Industrie.

»Supermärkte werden wir nie beliefern!«

Gegründet 2009, gehört Joseph Brot heute zum Hochwertigsten, was die Wiener Back-Szene bietet. Dabei startete Gründer Josef Weghaupt seine Karriere bei einem Industriebäcker. Wieso er vieles anders macht als die anderen und warum gut Brot Weile braucht, erklärt er im Interview, für das STUDIO! ihn im Waldviertel besuchte.

Im Outfit eines Bäckers, das auch seine MitarbeiterInnen tragen, kommt Josef Weghaupt dem STUDIO!-Team entgegen, verteilt Schutzhauben für die Haare, die aus hygienischen Gründen alle tragen müssen, und führt gleich hinüber in die Backstu be – eine helle, mitten in den Feldern gelegene Halle, aus deren Panorama fenster man pickende Hühner und viel Horizont sieht. Hier werden viele Arbeitsschritte von Hand ausgeführt. Einer der Gründe, warum das Joseph Brot mehr kostet als die industriell gefertigte Konkurrenz. Den Vorwurf, dass er Bobo-Brot für wohlhabende Städter backe, kann Josef Weghaupt nicht mehr hören – und räumt ihn mit der ersten Antwort gleich mal aus.

Herr Weghaupt, kaufen die Leute hier am Land Ihr Brot?

Josef Weghaupt: Ja! Es hat eine Weile gedauert, bis sie gesehen haben, der ist eh okay und auch das, was er macht. Aber jetzt geht es hier oft zu, dass du glaubst, du bist in einer Filiale in Wien.

Und zweite wichtige Frage an den Experten:Was machen Sie privat mit Ihrem Brot, wenn es schon ein paar Tage alt ist?

Weghaupt: Toasten! Wir daheim machen sonntags gerne Käsetoast. Der ist gut mit Kimchi dazu. Und wenn man etwas mittoasten will, dann bieten sich scharfe Peperoni oder Zwiebeln an, die man unter den Käse mischt.

Im Sandwich-Toaster?

Weghaupt: Ich mach’ das im Backrohr. Das funktioniert immer.

Danke. Sprechen wir jetzt über Ihren Werdegang. Sie sind gelernter Lebens

mitteltechniker und Fleischhauer, wie kamen Sie zum Brot?

Weghaupt: Ich habe mit 19 beim Magis trat in Wien gearbeitet, bei der MA 59, das ist das Marktamt, die Lebensmittel aufsichtsbehörde. Das habe ich zwei Jahre gemacht, hat mich nicht gefreut. Damals haben alle Qualitätsmanager gesucht, weil die neuen EU-Regelun gen kamen. Und ich hatte die HTL für Lebensmitteltechnologie und Fleisch wirtschaft besucht, in Hollabrunn, und hatte die notwendige Qualifikation. Da mals habe ich ganz pragmatisch einen Betrieb bei mir in der Nähe gesucht. So kam ich als Qualitätsmanager zu einer Industriebäckerei.

Wie ging es Ihnen in diesem Job? Weghaupt: Am Anfang hat es Spaß ge macht. Es war viel zu tun. Ich habe viel erreicht für die Firma. Irgendwann bin ich in Vertrieb und Marketing gewech selt. Ich wollte immer Verschiedenes wissen und verstehen. Dort gab es auch

24 dialog
© Philipp Tomsich

9 FILIALEN

betreibt Joseph Brot aktuell, davon 6 in Wien und je eine in Salzburg, Linz (eröffnet im November 2022) und in Burg schleinitz im Waldviertel.

91 MITARBEITER iNNEN

arbeiten in der Brotmanufak tur in Burgschleinitz. Einige pendeln aus Wien, die meisten kommen aus der Umgebung, wo Arbeitsplätze rar sind, sowie aus dem benachbarten Tschechien und der Slowakei. Es gibt aber auch Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan, die hier Anstellung gefunden haben. Auf die Internationalität seines Teams ist Weghaupt stolz. Und darauf, dass er für die vielen Arbeitsschritte, die hier von Hand ausgeführt werden, fair zahlt.

850 LAIBE

des Signature Brotes Joseph Brot werden in Burgschleinitz täglich gebacken und von dort an die Filialen geliefert.

Nicht nur für die Kamera formt Firmengründer Weghaupt (links) hier einen Laib Brot: Er liebt die Arbeit mit allen Sinnen. Damit die Kruste schön aufreißt (rechts), braucht es bei der Teig Arbeit (Mitte) Gefühl.

die Produktentwicklung. Die habe ich komplett neu aufgebaut. Ich wollte die Qualität steigern. Bis ich draufgekom men bin, dass unser Kunde, also der Handel, an Qualität überhaupt nicht interessiert war. Der Großkunde war ausschließlich interessiert am Geld.

Den Großkunden kann man sich als Supermarkt vorstellen?

Weghaupt: Ja. Supermarktketten, Dis konter. Irgendwann war das natürlich schwierig … wie sag’ ich das jetzt diplomatisch? Du baust eine Abteilung auf, findest motivierte Leute, sagst: Hey, lass uns was Gutes machen! Und dann gehst du mit den Konzepten zum Handel und der fordert nur: Mach’s billiger! Die Einkäuferin hat damals – das muss 2008 oder 2009 gewesen sein – meine Kalkulation für ein steirisches Brot angeschaut, das wir entwickelt haben, und gesagt: Strei chen Sie die Kürbiskerne aus der Stei ermark und nehmen Sie chinesische. Das konnte ich für mich und meine Kollegen nicht mehr vertreten. Ich war mir sicher, es geht anders auch. Man kann ehrliches Brot produzieren und dafür gibt es einen Markt.

Gab es damals schon alternative Bäckereien in Wien?

Weghaupt: Ja, nur nicht in dieser Dichte wie heute. Ich habe viel beim Helmut

Gragger gekauft. Es gab auch den Kasses aus dem Waldviertel, der den Julius Meinl am Graben beliefert hat.

Wie haben Sie Ihre Geschäftsidee entwickelt?

Weghaupt: Mein Businessplan war zunächst ein ganz anderer. Es gab und gibt ja viele alte, leer stehende Bäcke reien. Die Idee wäre gewesen, diesen Leerstand zu nutzen und wirklich gu tes Brot zu produzieren. Ich hatte drei Rezepte entwickelt für drei Produkte. Um eine Probe anzubieten, habe ich diese Brote wirklich zuhause geba cken, das ist kein Scherz, und habe sie einem Gastronomen, dem Bernd Schlacher vom »Motto am Fluss«, prä sentiert. Der hat gesagt: Können wir machen. Da hat sich die Frage gestellt: Wo backe ich jetzt?

Sie wollten als Unternehmer starten –hatten dafür aber keine Ausbildung. Weghaupt: Nein. Und auch nicht den Background. Mein Papa war Eisen bahner, meine Mutter Hausfrau. Ich stand also vor der Entscheidung: Just do it – oder lassen. Irgendwann hat mir ein Freund gesagt: In Vitis hat gerade eine Bäckerei zugesperrt, viel leicht haben die ihre Betriebsanlagen genehmigung noch nicht zurückgege ben? So bin ich Ende 2009 gestartet.

Vitis liegt im Waldviertel, über zwei

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Stunden von Wien entfernt. Ich habe nur die Gastronomie beliefert. Jeden Tag zwei Stunden rauffahren, zwei Stunden runter, dazwischen backen, nachher liefern. 2010 war ich ziemlich am Ende, hatte keine Reserven mehr, konnte nicht mal mehr tanken.

Was hat Ihnen damals den Mut gegeben, weiterzumachen?

Weghaupt: Zufälle. Freunde.

Und Ihre Begeisterung?

Weghaupt: Für die war ich damals schon zu fertig. Aber klar: Ohne Begeiste rung geht’s nicht.

Wie kam es zum Wiederaufschwung?

Weghaupt: Ich wollte eine eigene Filiale eröffnen in Wien, dazu hatte ich elf Bankgespräche zur Finanzierung. Eine niederösterreichische Bank hat schließlich an mich geglaubt – und bei der bin ich bis heute Kunde. So konnte ich 2011 den ersten Standort in der Naglergasse im ersten Bezirk aufsperren.

Damals entstanden auch Name und Logo: Joseph Brot schreibt man mit ph, Ihren eigenen Vornamen mit f. Warum?

Weghaupt: Ich war bei der Gründung erst 29. Es sollte traditionell klingen. Und das J vom Schriftzug ist ein Buchstabe aus meiner Unterschrift.

Ab dem Zeitpunkt der Filialgründung ging es bergauf?

Weghaupt: In der Naglergasse ist es abgegangen wie die Post. 2013 war dann aber wieder ein schlimmes Jahr. Wir haben eine Filiale in Linz aufge sperrt, im Konvent der Elisabethinen in der Landstraße, und mussten sie wegen behördlicher Auflagen wieder schließen. Ab 2014 habe ich gemerkt, als One-Man-Show ohne Manage ment geht es nicht mehr, und habe mir Leute ins Team geholt.

Es kamen dann schnell weitere Filia len dazu.Was waren Ihre Überlegun gen bezüglich Wachstum? Wäre es zum Beispiel vorstellbar gewesen, Joseph Brot in Supermärkten anzubieten? Weghaupt: Unmöglich. Solange es mich gibt, werden wir nie Supermärkte beliefern!

Stattdessen wurden einige Filialen als Buffets ausgebaut, in denen man auch sitzen und essen kann.

Weghaupt: Mir war klar, dass man die Geschichte unseres Brotes breiter anlegen muss. Brot ist sicherlich gut, aber welche Milch, welche Butter, wel chen Schinken esse ich dazu? Woher kommen diese Produkte? Ich bin der Ansicht, dass die Herkunft unseres Essens auf die Karte gehört. Transpa renz. Dass das möglich ist, beweisen wir in unseren Bistros. Wir versuchen dort, die Kunden noch besser abzuho len und auf unterschiedlichen Ebenen zu erreichen.

»Man kann ehrliches Brot produzieren, dafür gibt es einen Markt.«

Wollen Sie in diese Richtung weiterwachsen?

Weghaupt: Momentan nicht. Wir haben aktuell drei Bistros in Wien, das reicht 100-prozentig. Wir wachsen gerade sehr stark qualitativ in der Bäckerei, experimentieren zum Beispiel mit Urgetreidesorten. Urgetreide, das sind jahrhundertealte, auch speziell in Ös terreich gewachsene Sorten, die nicht gekreuzt wurden. Waldstaudenroggen zum Beispiel. Der braucht zwei Vege tationsperioden, bis er reif ist. Und: Er ist nicht patentiert (Weghaupt schaut vielsagend). Das ist schlecht, oder? Da verdient einer nicht … Wir arbeiten viel mit solchen Sorten, und dabei gehen wir langsam vor. Und das ist gut so! Ich bin der einzige Eigentümer, es gibt keine Investoren, keine stillen Beteiligten. Und für mich passt dieses Tempo gut.

KEYWORDS JOSEPH BROT

Fermentation

Lateinisch fermentare = gären, schwellen machen.

Bezeichnet die mikrobielle oder enzymatische Umwandlung organischer Stoffe in Säure, Gase oder Alkohol. Bei der Teigvorbereitung gibt das Gärgas dem Brot Volumen und sorgt im Inneren für die Porung. Diesen Vorgang auf natürliche Weise anzustoßen, so wie Weghaupt, dauert wesentlich länger, als – wie in der Industrie üblich – größe re Mengen Backtriebmittel zuzuführen.

Langzeitgeführter Teig Einen natürlich fermentier ten Teig nennt man darum »langzeitgeführt«. Langzeitge führte Teige haben mehr Zeit, Geschmack zu entwickeln, sie bekommen im Ofen eine reschere Kruste, sind länger haltbar und bekömmlicher.

Kurze Lieferwege

Dass Josef Weghaupt von Anfang an auf Produkte aus Österreich setzte, kam ihm in der Corona Krise zugute. Seine Lieferwege waren kurz und stabil. Einige Produkte, wie der Dinkel für sein Brot und die Eier für seine Aufstriche, werden sogar in Sichtweite, direkt vor der Brotmanufaktur, erzeugt.

Niedrigenergie-Ofen

Josef Weghaupt betreibt einen Niedrigenergie Ofen, der mit Thermoöl, also erhitztem Öl in einem Rohrleitungssystem, mit rund 290 Grad beheizt wird. Statt der in der Industrie üblichen Kilowattzahl benötigt er, nach eigener Aussage, auf gleicher Backfläche nur rund die Hälfte der Energie.

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© Philipp Tomsich

Gemeinsam am See

Studierende der Kommunikationswirtschaft entwickeln derzeit in einem FH-Praxisprojekt ein Veranstaltungskonzept für aspern Seestadt. Das Ziel: die Identität des wachsenden Stadtteils zu stärken.

Als der schwedische Architekt Johannes Tovatt mit seiner Präsentation fertig war, hatte er ein mulmiges Gefühl. »Das ist nicht gut gelaufen«, war er überzeugt. Die Aufgabe war denkbar schwierig: »Man wollte eine Stadt in der Stadt für 15.000 Menschen – und das in Wien, einer der schönsten Städte der Welt. Wo beginnt man da?«, erzählte Tovatt im heurigen September bei TEDxVienna.

Mit seiner Idee eines zentralen Sees und einer Ringstraße rundherum konnte er sich 2007 schließlich im Wettbewerb durchsetzen, 2014 zogen die ersten BewohnerInnen ein. Heute leben knapp 10.000 Menschen in der Seestadt. Fertig ist das Stadterwei terungsgebiet aber noch lange nicht. Nicht nur, weil nach wie vor fast im Wochentakt Bauprojekte fertigge stellt werden. Auch das Lebensgefühl ist noch im Werden. Die Stärkung

der Seestädter Identität steht daher in diesem Semester im Fokus eines Praxisprojekts des Bachelor-Studien gangs Kommunikationswirtschaft der FHWien der WKW.

Was fehlt in der Seestadt?

»So etwas wie Identität kann man nicht planen, sie muss sich peu à peu entwickeln«, sagt Martina Zöbl vom Studienbereich Communication Ma nagement der Wiener FH, die Coachin des Praxisprojekts. Um mehr über die BewohnerInnen zu erfahren, waren die Studierenden zunächst vor Ort unter wegs. »Insgesamt sechs Teams sprachen mit den Stakeholdern – hauptsächlich

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Martina Zöbl betreut das Praxisprojekt seitens der FHWien der WKW. © feelimage/Matern
© Wien 3420 AG ©
Die Wien 3420 aspern Development AG will die Seestadt als Destination für WienerInnen und TouristInnen etablieren.
Niko Havranek

Familien mit kleinen Kindern –, um Insights zu bekommen. Wie geht es ih nen in der Seestadt? Was fehlt ihnen?« Projektpartnerin des Praxisprojekts ist die Wien 3420 aspern Develop ment AG, der es um die Erschließung neuer Zielgruppen für den Bereich Einzelhandel und Entertainment geht. Erklärtes Ziel: die Seestadt als Destination für DonaustädterInnen und WienerInnen zu etablieren und »in einem nächsten Schritt auch WienTouristInnen anzusprechen«, erklärt Zöbl. Vorhandene Infrastruktur wie Cafés, Restaurants oder Geschäfte soll für die Events genutzt werden.

Was ist die Geschichte?

»Wichtig ist, die passende Story zu finden«, weiß Zöbl. So könnte der See für Events inszeniert werden, denn der verbreite mit seiner strahlend türkisen Farbe »tolles Karibikfeeling«. Auch das Thema Frauen könne ein Ansatz

punkt sein, immerhin sind so gut wie alle Straßennamen der Seestadt nach weiblichen Persönlichkeiten benannt. Da gäbe es viel zu entdecken – auch für die Studierenden, die alle Anfang 20 und damit »typische VertreterInnen der Gen Z« sind, erklärt Martina Zöbl. »Von Rock-Legende Janis Joplin, Na mensgeberin einer Promenade in der Seestadt, hören viele zum ersten Mal. Vielleicht wäre es eine Idee, ihr Erbe mit Musikevents aufzugreifen?« Noch vor Weihnachten präsentieren die Teams ihre Vorschläge, das überzeu gendste Konzept hat gute Chancen, in den nächsten Jahren umgesetzt zu werden.

In Aspern wächst eine »Stadt in der Stadt«.

Bald präsentieren die Studierenden ihre Konzpete.

PILOTEN DER SEESTADT

Nicht nur die Studierenden der Kommunikationswirt schaft zieht es in das neue Stadtviertel. Auch andere Lehrveranstaltungen der FHWien der WKW haben schon dort stattgefunden, zum Beispiel in der Pilotfabrik der TU Wien, in der die Fachhochschule im Rahmen einer Kooperation regelmäßig zu Gast ist. So konnte der Bachelor Studiengang Digital Business bei der Lehrver anstaltung »New World of Work« Hands on Erfahrungen mit kollaborationsfähigen Robotern, Exo Skeletten und Augmented Reality Systemen sammeln.

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»So etwas wie Identität kann man nicht planen, sie muss sich peu à peu entwickeln.«
wien & wir
Martina Zöbl
© Christian Fuerthner MA18 © Luiza Puiu © Martina Zöbl

Hinauszoomen auf das große Ganze

Wenn Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit ernsthaft angehen wollen, müssen sie Change Agents Raum geben und diese fördern – und sie dürfen keine Angst vor großer Veränderung haben.

Ein bisschen weniger Verpa ckung hier, ein neues Elektro auto dort: An Ideen, wo man ein wenig nachhaltiger werden könnte, mangelt es meistens nicht. Da ist es verlockend, sich eine naheliegende Lösung herauszupicken und gleich zur Tat zu schreiten. Dabei wird ein wichtiger Schritt oft übersprungen: Der Blick aufs große Ganze und die wesentlichen Hebel, mit denen vor allem Unternehmen positive oder negative Wirkung erzeugen.

Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema, nicht zuletzt weil es öko logische, soziale und ökonomische Komponenten hat und global gesehen werden muss. Das bedeutet, dass man nicht darum herumkommt, erst hin auszuzoomen, bevor man sich Details zuwendet: Wo stifte ich mit meinem Unternehmen gesellschaftlichen Nut zen, was ist mein negativer Footprint? Wo kann ich Win-win-Situationen für Umwelt, Gesellschaft und mein Unternehmen schaffen? Wie kann ich gemeinsam mit Partnern, vielleicht so gar den Mitbewerbern in der Branche eine Veränderung anstoßen?

Auch Menschen, die System denken nicht im Blut haben, können es erlernen: Sie erkennen dann Wider

sprüche, etwa dass auf der einen Seite Öl, Kohle und Gas nach wie vor mit Hunderten Milliarden Euro subven tioniert werden, während man auf der anderen Seite versucht, die Klimakrise zu bekämpfen. Wenn Menschen dann noch die Werte und die Motivation mitbringen, Dinge zu verändern, sind sie ideale Change Agents: Leute, die in Unternehmen den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft vorantreiben –auf ganz unterschiedliche Weise. Die einen bringen technische Expertise mit, andere strategisches oder radikales Denken, wieder andere können das ganze Team mitreißen.

Als Organisation muss man Perso nen, die das Zeug zum Change Agent haben, erkennen und fördern: Man muss sie unterstützen, sie vernetzen, ih nen Zeit zum Denken und Ressourcen zur Verfügung stellen. Und man darf keine Angst vor Kritik haben. Denn diese kann viel wert sein: Unternehmen, die bei der Nachhaltigkeit Vorreiter sind, sind zukunftsfähig. Sie geraten nicht in Stress, wenn neue Regulierun gen kommen. Sie kreieren Innovations vorteile und können junge Talente gewinnen, die man mit Geld allein nicht locken kann. Wer hinauszoomt, wird die vielen Chancen schnell erkennen.

© privat

Alice Schmidt ist Politik und Un ternehmensberaterin, Autorin und Rednerin, die an der Schnittstelle zwischen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Themen auf der ganzen Welt arbeitet. An der FHWien der WKW ist sie unter anderem Gastvortragende zum Thema Systemdenken im Rahmen der Weiterbildung »Certificate for Sustainability Change Agents«. Ihr Buch »The Sustainability Puzzle« bringt viele Beispiele für nachhaltige Transformation in Unternehmen und ist seit Kurzem als Taschenbuch verfügbar.

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gastkommentar
Von Alice Schmidt

IMPRESSUM

Medieninhaber, Herausgeber: FHWien Fachhochschul-Studiengänge Betriebs- und Forschungseinrichtungen der Wiener Wirtschaft GmbH (FHW GmbH), Währinger Gürtel 97, 1180 Wien, E-Mail: studio@fh-wien.ac.at, Tel.: 01/476 77-5731

Projektleitung: Martin Paul Redaktion: Eva Baumgardinger, Maya McKechneay, Doris Neubauer, Ruth Reitmeier, Alice Schmidt, Florian Streb Corporate Publishing: Egger & Lerch Corporate Publishing, velcom GmbH, www.egger-lerch.at; Gestaltung und Produktion: Elisabeth Ockermüller; Bildbearbeitung: Matthias Dorninger, Reinhard Lang Coverfoto: Gettyimages/Andriy Onufriyenko

Druck: Walstead Leykam Druck GmbH & Co KG, 7201 Neudörfl

Gedruckt nach der Richtlinie »Druckerzeugnisse« des Österreichischen Umweltzeichens, NP DRUCK, UW-Nr. 808

INHALT

im fokus Generation Nix-ist-fix Morgen kann die Welt schon anders aussehen: Wie die Generation Z, aktuell in Ausbildung, mit großer Ungewissheit umgeht. SEITE 2—7

»Echter Journalismus« der nächsten Generation Wie zwei österreichische Projekte junge Menschen mit Fakten statt mit Fake News erreichen wollen. SEITE 8—9 geradeheraus SEITE 10

jenseits von währing

Auf Forschungsmission

Von Budapest bis Seattle: unterwegs, um neue Erkenntnisse zu verbreiten und zu sammeln. SEITE 14—15 vision

Alles läuft Krebs besiegt, Studium abgeschlossen, Karriere gemacht: Jetzt will Ulrich Zwirchmaier etwas zurück geben. SEITE 16—17

aus der praxis

Reverse Mentoring: Von den Jungen lernen Vier Teenager über ihre Ziele, Sorgen und darüber, was die Älteren besser machen könnten. SEITE 12—13 24 28

»Greenwashing funktioniert nicht mehr« Professorin Franzisca Weder im Gespräch über gelungene Nachhaltigkeitskommunikation. SEITE 20—21 blitzlichter Neun vergoldete Karrieren Die PreisträgerInnen des Alumni Award 2022 der FHWien der WKW. SEITE 22—23

dialog

»Supermärkte werden wir nie beliefern!« Im Waldviertel zu Besuch bei Josef Weghaupt, dem Gründer von Joseph Brot. SEITE 24—27

wien & wir

Gemeinsam am See Studierende und die Seestadt Aspern auf der Suche nach Identität. SEITE 28—29

gastkommentar

Hinauszoomen auf das große Ganze Gastkommentar von Alice Schmidt zur Rolle von Sustainability Change Agents. SEITE 30

-gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, NP DRUCK, UW-Nr. 808

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